Intervention im Bereich des Textverstehens bei Kindern im Vorschulalter

Intervention im Bereich des Textverstehens bei Kindern im Vorschulalter

ABSTRACT / INHALT

Die Thematik der rezeptiven Sprachstörungen gewinnt in der Sprachtherapie immer mehr an Bedeutung. In Anbetracht der Relevanz frühkindlicher Bildung sowie des Sprach-und vor allem des Textverstehens für den schulischen und persönlichen Erfolg eines Kindes ist eine möglichst frühzeitig einsetzende Förderung bei einer vorhandenen Sprachverständnisstörung anzustreben. In der vorliegenden Arbeit wird ein neu entwickeltes Verfahren zur Intervention des Textverstehens bei Kindern im Vorschulalter vorgestellt, das auf aktuellen wissenschaftlichen Kenntnissen basiert.

Um die Anwendbarkeit des entwickelten Verfahrens und die Sinnhaftigkeit einer Behandlung des Textverstehens bei Kindern im Vorschulalter überprüfen zu können, wurde eine Studie zur Evaluation dieser Aspekte durchgeführt. Die Resultate weisen darauf hin, dass aufgrund der durchgeführten Förderung sowohl quantitative als auch qualitative Verbesserungen in den Fähigkeiten der Kinder erzielt werden können. Dies spricht wiederum für die Anwendbarkeit des entwickelten Verfahrens. Insgesamt ist dadurch eine Grundlage für die Behandlung von Auffälligkeiten im Textverstehen bei rezeptiv auffälligen Kindern im Vorschulalter geschaffen, wobei noch weitere Untersuchungen in diesem Bereich notwendig wären, um eine evidenzbasierte Methode etablieren zu können.

DAS ENTWICKELTE VERFAHREN FÜR DIE THERAPIE ZENTRALER BASISKOMPETENZEN DES TEXTVERSTEHENS

Ausgehend von den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen wurde im Rahmen der Arbeit ein Verfahren entwickelt, das zur Förderung zentraler Basiskompetenzen des Textverstehens bei Kindern im Vorschulalter dienen soll. Aufgrund der umfassenden Recherche und der rezipierten Literatur ergab sich eine Zusammensetzung verschiedener Therapiebausteine. Die einzelnen Komponenten sind als nebeneinander stehende Elemente der Förderung zu betrachten.

ÜBERSICHT ÜBER DIE THERAPIEBAUSTEINE DES ENTWICKELTEN VERFAHRENS

ERGEBNISSE

Anhand der Resultate ist zu erkennen, dass sowohl quantitative als auch qualitative Verbesserungen bei den Kindern durch die Intervention im Textverstehen erzielt werden konnten. Auch wenn die vorhandenen Veränderungen bei den verschiedenen Probanden in unterschiedlich hoher Intensität ausfallen, erwies sich das entwickelte Verfahren trotz der diskutierten Aspekte insgesamt als positiv bezüglich der Therapie des Textverstehens bei Kindern im Vorschulalter.

FAZIT

Durch die vorliegende Arbeit konnte die Relevanz einer möglichst früh einsetzenden Intervention bei einer vorhandenen rezeptiven Störung verdeutlicht werden. Es wurde dargestellt, dass ein normal entwickeltes Sprachverständnis (vor allem das Textverstehen) als besonders bedeutsame Basis für den Schulerfolg gesehen werden kann. Daher ist es bereits bei Kindern im Vorschulalter wichtig, grundlegende Voraussetzungen für die Schule zu schaffen, um dadurch die Diskrepanz zwischen auffälligen und unauffälligen Kindern von Beginn an möglichst gering zu halten. Aufgrund dessen wäre es wünschenswert, dass bereits im Vorschulalter das Textverstehen bei rezeptiv auffälligen Kindern gefördert wird.

Für die Behandlung von rezeptiven Sprachstörungen auf Textebene sind bislang jedoch kaum Fördermöglichkeiten für Vorschulkinder vorhanden, da die meisten Therapieansätze für Schulkinder mit bereits erworbenen Lesefähigkeiten konzipiert sind. Die in der Literatur beschriebenen Interventionsmöglichkeiten wurden im Rahmen dieser Arbeit aufgezeigt. Daraus wurde ersichtlich, dass einerseits die Förderung des Textverstehens und andererseits auch die Etablierung guter MSV-Fähigkeiten in der Therapie fokussiert werden sollte. Basierend auf dieser Grundlage wurde ein Verfahren zur Intervention des Textverstehens bei Kindern im Vorschulalter entwickelt, das die aufgezeigten Fördermöglichkeiten beinhaltet. Es setzt sich aus verschiedenen Therapiebausteinen zum Textverstehen und zum MSV zusammen, die als nebeneinander stehende Säulen der Intervention zu verstehen sind. Diese Therapiebausteine lehnen sich an die in der Literatur beschriebenen Fördermöglichkeiten an, wobei eine Adaption für Vorschulkinder vorgenommen wurde. Für die Erarbeitung dieser Therapiebausteine wurden verschiedene Texte und andere Materialien ausgewählt, die für den Einsatz bei Kindern ohne erworbene Lesekenntnisse geeignet erschienen und in deren Interessensbereich liegen. So entstand ein Verfahren, das eine Förderung des Textverstehens bei Kindern im Vorschulalter nach aktuellen wissenschaftlichen Kenntnissen ermöglicht.

Um eruieren zu können, ob eine Förderung des Textverstehens bereits vor dem Schuleintritt sinnvoll erscheint und ob zentrale Basiskompetenzen des Textverstehens schon bei diesen Kindern etabliert werden können, wurde eine Studie durchgeführt. Dabei erfolgte eine Intervention nach dem entwickelten Verfahren bei rezeptiv auffälligen Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren. Aus den gewonnenen Resultaten konnte geschlossen werden, dass alle zuvor entwickelten Fragestellungen weitgehend positiv beantwortet werden können. Nach der Therapie sind sowohl quantitative als auch qualitative Verbesserungen im Textverstehen und im MSV erkennbar. Ferner zeigt sich ein positiver Zusammenhang zwischen den vorhandenen rezeptiven Fähigkeiten vor Beginn der Therapie und dem Ausmaß bzw. der Qualität der Veränderungen nach der Intervention wie auch zwischen den Fähigkeiten im Textverstehen und im MSV. Insgesamt kann die Anwendbarkeit des entwickelten Verfahrens bestätigt werden, wobei vor allem ältere Kinder von der Förderung profitieren. Dennoch sind bei allen Kindern Fortschritte festzustellen.

Eine Intervention des Textverstehens bei rezeptiv auffälligen Kindern sollte aufgrund der eruierten Ergebnisse bereits im Vorschulalter fokussiert werden. Es besteht jedoch das Problem, dass die Diagnose von Sprachverständnisstörungen selbst für Fachpersonal eine Herausforderung darstellt, weil rezeptive Fähigkeiten nicht direkt gemessen werden, sondern ausschließlich durch Beobachtungen und Interpretationen von evozierten Reaktionen auf sprachlichen Input erfolgen können. Deshalb findet eine Diagnosestellung häufig erst im Schulalter statt, obwohl die Auffälligkeiten vermutlich bereits vor dem Schuleintritt bestehen. Aufgrund dessen wäre es sinnvoll, bereits bei Vorschulkindern präventive Maßnahmen einzusetzen, was beispielsweise im Kindergarten erfolgen könnte. Viele der im entwickelten Verfahren enthaltenen Bausteine sind auch auf die Arbeit mit Kleingruppen übertragbar und könnten teilweise auch in den Kindergartenalltag integriert werden. Im Hinblick auf die Thematik der Inklusion, die aufgrund der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland im Jahr 2009 und dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 20.10.2011 immer mehr an Bedeutung gewinnt (Evers-Meyer 2009, Kultusministerkonferenz 2011), wäre für die Etablierung solcher Maßnahmen noch eine weitere Begründung gegeben. Um solche Maßnahmen sinnvoll einsetzen zu können, müssten jedoch einerseits Erzieherinnen geschult bzw. informiert und andererseits Studien in diesem Bereich durchgeführt werden. Eventuell wären dabei Modifikationen für die Anwendung in Kindertageseinrichtungen erforderlich.

Weitere Publikationen im Bereich der rezeptiven Sprachstörungen sind besonders bedeutsam, damit diese Thematik auch in der sprachtherapeutischen Praxis mehr fokussiert wird. Einerseits müssten Diagnoseverfahren für die Überprüfung des Textverstehens bei Vorschulkindern (weiter-)entwickelt werden, da die Testitems in den bestehenden Diagnostika vor allem für ältere Kinder einfach zu bewältigen und außerdem keine Normwerte vorhanden sind. Andererseits wären im Hinblick auf die Therapie von Sprachverständnisstörungen Untersuchungen an größeren Stichproben wünschenswert, um auf evidenzbasierte Methoden zurückgreifen zu können.

Das im Rahmen dieser Arbeit entwickelte Verfahren bietet eine Grundlage für weitere Untersuchungen bezüglich der Intervention des Textverstehens bei Kindern im Vorschulalter. So könnte eine qualitativ hochwertige Behandlung bereits bei Vorschulkindern erfolgen, um die Fähigkeiten im Textverstehen und im MSV für den Schuleintritt optimal zu fördern, einer möglichen Stigmatisierung entgegenzuwirken und somit dem Grundsatz der Chancengleichheit gerecht zu werden.